Das Vertrauen in die Politik ist aufgebraucht. Das Grundgesetz wird missachtet. Die Entscheidungsfindung ist weder nachvollziehbar noch vermittelbar. Deutschland im Jahre 2021 ist ein Schatten seiner selbst.
Voller Wehmut schaut die aktuelle Generation auf eine Zeit zurück, von denen ihre selbstständigen Eltern heute mit leuchtenden Augen erzählen und warum es für sie damals so erstrebenswert war, den Weg in die Selbstständigkeit zu wagen. Ausgeprägter Unternehmergeist und Mut gehörten damals wie heute genauso dazu wie fachliche Expertise und betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Mit diesen Voraussetzungen müssen nur die Rahmenbedingungen im Land stimmen, die die Politik schafft. Sie sorgt für Anreize, gibt Sicherheit und bietet Perspektive. Früher war das so – heute demoralisiert sie – systematisch!
Die heutigen bürokratischen Rahmenbedingungen sind inakzeptabel geworden. Die steigenden Anforderungen wie Datenschutz, Aufzeichnungspflicht und weitere branchenspezifischen Regulierungen sind nur Beispiele. Jeder Selbstständige stellt seinen Betrieb in der Regel auf die geänderten Bedingungen ein, auch wenn er sich nicht immer mit der Maßnahme einverstanden zeigt. Hierbei ist der Faktor Vertrauen in das bestehende System entscheidend. Besteht dieses, trägt der Unternehmer die Maßnahme „mit Fassung“.
Als Selbstständiger fällt es mir zunehmend schwer, dem politischen System und den gewählten Vertretern in unserem Land mein Vertrauen auszusprechen. Warum? Die Pandemie deckt ihre Fehler und Unzulänglichkeiten schonungslos auf. Unsere Politiker wirken inkompetent, überfordert und vermitteln Perspektivlosigkeit. Der schlagfertige Pragmatismus einer vergangenen Politelite um Willy Brandt, Franz-Josef Strauß, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl ist dem Prinzip „Hoffen“ (Impfstoff) gewichen.
Während des ersten Lockdowns war die Situation neu und somit das Verständnis für Fehlentscheidungen noch vorhanden. Über den Sommer haben insbesondere Unternehmer branchenübergreifend gezeigt, dass sie sich mit der angekündigten zweiten Welle auseinandergesetzt und Hygienekonzepte entwickelt haben. Mit Verkündung des zweiten Lockdowns wurde offensichtlich, dass das politische Establishment eben diese Vorbereitung sträflich vernachlässigt hat. Wo waren beispielsweise die Hygienekonzepte für Schulen und Kindergärten? Das wird unserem Land nun zum Verhängnis. Durchhalteparolen und Appelle verfehlen nun ihre Wirkung, denn die Gesellschaft hat das Vertrauen verloren. Die betroffenen Unternehmer, angesichts versprochener Hilfen und deren unprofessioneller Umsetzung, schon längst.
Dass seit gut einem Jahr unsere Grundrechte teilweise massiv eingeschränkt werden (Beispiel: Art. 4 „Religionsausübung“; Art. 8 „das Versammlungsrecht“ oder Art. 12 „freie Berufsausübung“), möchte ich in dieser Form auch nicht weiter akzeptieren. Dass sich die politische Landschaft von der Gesetzgebung durch Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident verabschiedet hat, befremdet mich zutiefst. Wo ist hier die Legitimation für dieses Vorgehen manifestiert worden? Grundrechte sind für mein Verständnis besonders dann zu wahren, wenn wir uns im Ausnahmezustand wähnen. Die Gesellschaft benötigt sie, um das Vertrauen aufrechtzuerhalten. Das Grundgesetz wurde am 23. Mai 1949 unterschrieben und die politische Situation vor diesem Datum ist hinreichend bekannt.
Wir leben in einer gewählten Demokratie und unser Wertemanifest wird aufgrund eines Virus in seinen Grundfesten erschüttert, ohne dass über Einschränkungen debattiert oder abgestimmt wurde. Der Marketingagentur der Bundesregierung fällt dazu nur ein, dass sie den Bürgern empfiehlt, während der Einschränkung ihrer Grundrechte in den Waschbärmodus auf der Couch zu verfallen. Als Unternehmer frage ich mich, ob das noch Satire ist oder bereits Hohn und Spott? Wie bewertet die Judikative dieses Landes eigentlich dieses Vorgehen und warum schreitet sie nicht ein? Ist die Gewaltenteilung in unserem Land überhaupt noch aktiv oder intakt?
Die Perspektive für uns Unternehmer ist düster. Es lag und liegt es in unserer DNA, dass wir auch dann weitermachen, wenn der Weg steinig oder aussichtslos erscheint. In Anbetracht der aktuellen Situation empfinde ich das aktuelle Klima für die Selbstständigkeit als vergiftet.
Verlässt sich die Politik etwa auf unsere aufopferungswürdige Leidenschaft bis zum Ausbluten und lässt damit bewusst einige Branchen wie die Hotellerie, Gastronomie, deren Zulieferketten, den stationären Einzelhandel, Veranstalter, Messebauer, Musikschulen, Konzertveranstalter und Künstler (die Liste ist beliebig fortzuführen) außer Acht oder opfert diese bewusst? Welches Signal vermittelt sie an die bestehenden und zukünftigen Unternehmergenerationen? Deutschland war einst stolz auf seinen Mittelstand und andere Industrienationen beneiden unser Land für dessen Innovation und Schaffenskraft, deren Ergebnisse weltweit bis hin zum Status des „Hidden Champion“ gefeiert werden.
Als Unternehmer, Familienvater und Bürger muss ich den drei Gewalten unseres Landes nunmehr die rote Karte zeigen. Sie, sehr geehrte Volksvertreter, geben ein jämmerliches Bild ab. Ihre Arbeitsweise zerstört dieses Land in der gleichen Form wie der Virus selbst.
Dieses Statement verfasse ich in dem festen Glauben, dass es in unserem Land noch möglich ist sich frei zu äußern und unser Grundgesetz nach Art. 5 (freie Meinungsäußerung) noch besteht, ohne direkt den Makel eines „Querdenkers“ angeheftet zu bekommen, zu denen ich mich persönlich nicht zähle.
Meine Forderung an die Politik: Handeln Sie jetzt, denn Ihre Leistungsträger haben keine Lust mehr auf diese unprofessionelle Arbeitsweise. 2020 hatten wir ein Virusproblem. 2021 haben wir dieses noch immer, aber zusätzlich ein politisches Führungsproblem. Kehren Sie auf den tugendhaften Weg Ihrer Vorgänger zurück, andernfalls ist der Vertrauensverlust in unser politisches System irreparabel.
Lösungsvorschläge
Die aktuelle Schockstarre und das behäbige Antizipieren der politischen Vertreter ist ein Umstand, der den Mittelstand fassungslos zurücklässt. Aus diesem Grund steigt die emotional geführte Debatte gegenüber unseren Vertretern in der Politik stetig. Es hat den Anschein, als ob alle auf den „Ruck“ warten, den sich vielleicht sogar einige erhoffen, ja wünschen. Sind wir als Gesellschaft selbst schuld obgleich dieses Ausbleibens und haben wir uns einfach zu sehr oder hat man uns in Sicherheit gewogen, um Versäumnisse zu kaschieren? Spielten die bevorstehenden Wahlen hierbei eine Rolle?
Ein guter Unternehmer entwickelt permanent Strategien für sein Unternehmen, arbeitet mit Weitsicht und Szenarien. Berechnungen im Sinne einer Wirtschaftlichkeitsprognose und kontinuierlichen Anpassungen erfordern in seinem Wirken mindestens drei Szenarien, um auf Eventualitäten vorbereitet zu sein. Neben Bestcase und Normalfall kommt der Worstcase gleichzeitig einem Stresstest nahe und zeigt die prognostizierte Leistungsfähigkeit bei Problemen.
Ich frage mich ernsthaft, ob diese Techniken im vergangenen Sommer 2020 in Berlin sowie auf Landesebene angewendet wurden? Wurde auf dem Niveau der einzelnen Bundesministerien mit Rückkopplung der Landesressorts in Arbeitsgruppen bis zu den Sommerferien an Lösungen gearbeitet, um diese dann auf Bundesebene in eine Gesamtstrategie zu harmonisieren? Die Fertigstellung zum richtigen Zeitpunkt – der angekündigten zweiten Welle – im Oktober 2020 wäre mein Ansatz gewesen. Wir benötigen solch ein harmonisiertes Vorgehen für die bevorstehende dritte Welle. Ein Land – eine Strategie!
Im Grunde ist die gesamte Gesellschaft betroffen, jedoch sind es gerade die Verlierer (im Großteil unverschuldet), denen geholfen werden sollte. Hier sehe ich mich als Unternehmer auch meinem Team gegenüber verpflichtet, für sie zu sorgen und auch für sie die Stimme zu erheben! Kurzarbeitergeld hilft vor der Arbeitslosigkeit, aber die Lebenshaltungskosten bleiben bei 100%. Wie lange soll das noch andauern?
Bis dato sprachen wir immer von der zweiten beziehungsweise aktuell schon von der dritten Welle. Wenn wir ehrlich sind befinden wir uns in einem Transformationsprozess. Von nun an werden wir mit diesem Virus und seinen Mutationen permanent leben müssen. Nach dem Sommer 2021 werden wir, sofern keine Lösungskonzepte erarbeitet werden, vor der gleichen Problematik stehen, in der wir uns aktuell befinden. Soweit darf es nicht kommen!
Zu den aktuellen Verlierern zählen der Mittelstand und Selbstständige, Familien und ihre Kinder sowie der gesamte Gesundheitssektor und alle touristisch betroffenen (Groß-)Unternehmen inklusive ihrer Zulieferer. Dies ist die wirtschaftliche Sichtweise. Betrachten wir die Gesellschaft, haben wir alle verloren und es wird Zeit, das Problem anzupacken. Brauchen unsere Politiker Hilfe dabei? Hemmt uns der Föderalismus? Welche Lösungsmöglichkeiten könnten erarbeitet werden, um den neuen Status-Quo einzuleiten?
Ein paar Vorschläge:
Gesundheitssektor: Es ist offensichtlich, dass wir in der Digitalisierung den Anschluss verpasst haben. Gute Applikationen zur Kontaktnachverfolgung, auch zur Entlastung der Verwaltung, werden wir in Zukunft benötigen um Infektionsherde einzudämmen. Hierbei ist wichtig, dass sie einheitlich angewendet werden und datenschutzkonform sind. Zudem sollte das technische Hochrüsten vorangetrieben werden und auch wirtschaftlich schwache Gesundheitsstandorte erhalten bleiben. Krankenhausschließungen in solch einer Pandemie sind schlichtweg grotesk.
Familien, Bildungswesen, Kindergärten: Die Familien werden durch den aktuellen Zustand mental ausgelaugt, was immense wirtschaftliche (Langzeit-)Folgen hat und haben wird (Beispiel: erhöhter Krankenstand, psychologische Folgen, und vieles weitere). Hier spielen zwei zentrale Versäumnisse eine Rolle. Lehrkräfte und Schulen sind weder technisch auf dem neuesten Stand noch wurden gute Lüftungskonzepte entwickelt (Fenster öffnen ist kein Konzept). In welchem Verhältnis stehen z.B. die Kosten der Anschaffung einheitlicher Luftreiniger für alle Schulen und Kindergärten in Deutschland zu den wirtschaftlichen Kosten eines Lockdowns? Bundeseinheitliche Lösungen werden für Sommer 2021 dringend benötigt und müssen jetzt eingeleitet werden. Die Bewältigung des psychologischen Ausmaßes und deren Aufarbeitung der Langzeitschäden in der Gesellschaft von „jung“ und „alt“ müssen bereits jetzt präventive Konzepte erarbeitet werden.
Einzelhandel, KMU’s, Soloselbstständige: Sie bilden das gesellschaftliche Rückgrat und decken viele Bereiche des täglichen Lebens ab. Es gibt sowohl direkt als auch indirekt Betroffene. Wenn die Finanzreserven der Nachfrager schwinden, werden auch Branchen betroffen sein, die aktuell noch wenig spüren. Die Folge ist ein schleichendes und langanhaltendes Sterben von Leistungsträgern, das wiederum zuerst auf dem Land festzustellen sein wird (Musikschulen, Einzelhändler, Handwerksbetriebe, …). Wirtschaftsförderung bedeutet somit auch, ein Frühwarnsystem zu entwickeln, um in Zeiten einer Pandemie Maßvoll entgegenzusteuern. Hilfen müssen unbürokratisch und zum benötigten Datum fließen.
Tourismus: Bereits im April 2020 forderten Hotellerie und Gastronomie einen Plan. Hierbei wurden die Auflagen erfragt, um wieder öffnen zu können. Ende Oktober 2020 und vor dem zweiten Lockdown bekannten sich Experten des RKI öffentlich dazu, dass die Gastronomie kein Infektionstreiber sei. Neben der wirtschaftlichen Komponente hat diese Branche – und dies wird nach nunmehr fünf beziehungsweise kumuliert sieben Schließmonaten deutlich – einen enormen gesellschaftlichen Stellenwert. Eines unserer wichtigsten Güter ist der zwischenmenschliche Austausch und die gelebten Emotionen. Wir benötigen einen Ort für unsere Gemeinschaft, für unseren sozialen Klebstoff. Ist dieser geschlossen, verlagert er sich unkontrolliert ins Hinterzimmer.
Und sind wir mal ehrlich: Keine gute Geschichte wird jemals mit den Worten „Damals im Zoomcall …“ beginnen. Wir lechzen nach Gesprächen, sozialer Wärme, romantischen Date und Freiheit. Warum werden die Stufenpläne der Branchenverbände nicht adaptiert? Niemand spricht von 100 Prozent Öffnung ab Tag X. Masken, Luftreiniger, PCR-Schnelltests, Hygienepläne. Glauben Sie wirklich diese Branche schafft das nicht? Alle Maßnahmen könnten helfen, um das soziale Leben nicht gänzlich zum Erliegen zu bringen und einen kontrollierten Zwischenschritt herzustellen, bis der neue Status-Quo erreicht ist. Der psychologische Effekt für die Gesellschaft wäre enorm wichtig.
Es liegt viel Arbeit vor unserem Land. Ich erwarte, dass unsere gewählten Vertreter auf Bundes- und Landesebene sich nun endlich zusammenraufen, wieder Vertrauen schaffen und ein lösungsorientiertes Projektmanagement an den Tag legen. Es ist zu einfach die Verantwortung zwischen dem Bund, den Ländern und der EU „hin und her“ zu schieben. Übernehmen Sie Verantwortung! Wenn Sie das nicht können: Nehmen Sie Ihren Hut! Alleingänge einzelner (Landes)minister sind nach einem Jahr der Selbstdarstellung deplatziert.
Marek Gawel, Boppard
Unternehmer und geschäftsführender Inhaber in 5. Generation
Organisator Leere Stühle Rheinland-Pfalz
Rotarier, Aufsichtsratsmitglied, Mitglied der Jeunes Restaurateur, seit über 20 Jahren politisch aktiv, Familienvater