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Naturschutzgebiet Hintere Dick, Lobeshymnen angebracht?

Entbuschung Boppard: Staub Eisenbolz

Das Naturschutzgebiet Hintere Dickt wird umfas­send sei­tens der SGD und des Landes-Umweltministeriums in vie­len Medien gelobt. Zu schön, um wahr zu sein, dass wir hier in Boppard solch ein bedeu­ten­des Naturschutzgebiet haben. Sollten die Zahlen und Aussagen stim­men, kann man sich in der Region dar­über freu­en. Allerdings wer­den neben der gan­zen Lobhudelei sehr weni­ge Informationen bekannt gege­ben. Die genann­ten Zahlen schwirr­ten schon län­ge­re Zeit in Medien und bei Informationsanfragen her­um. Auf Nachfrage, wel­che Arten denn beschrie­ben wur­den, gab es trotz unzäh­li­ger Nachfragen an ver­schie­de­ne Stellen kei­ne Antworten. War es eine Erstbestimmung? Welche Bestimmungen gab es zuvor? Wo wur­den die Messungen durch­ge­führt? In Gewässernähe sind auf jeden Fall höhe­re Artenzahlen zu erwar­ten. Wurden 3.500 oder 5.000 Arten gezählt? Warum wur­den bei den Fototerminen und Vorstellungen der Ergebnisse wäh­rend Begehungen der Hinteren Dickt nur aus­ge­wähl­te Personenkreise ein­ge­la­den? Leute der BI und Kritiker der Art und Weise des Vorgehens der Landespflege wur­den aus­drück­lich als uner­wünscht titu­liert. Waren die Termine also Werbeveranstaltungen?

Naturschutzgebiete sind wich­tig zum Erhalt ver­schie­de­ner Lebensräume und die­nen dem Beitrag der Artenvielfalt. Nach wie vor wur­den die seit Anfang der Landes-pfle­ge­ri­schen Maßnahmen bestehen­den Kritikpunkte nicht beant­wor­tet und blei­ben im Raum ste­hen: Information der Öffentlichkeit ist völ­lig unzu­rei­chend, objek­ti­ve Kommunikation fehlt, Fragen und Kritikpunkte wur­den gar nicht oder unzu­rei­chend beant­wor­tet. Informationen an Politik und Bevölkerung sind einseitig.

Nach den Tiefenfräsungen der Böden ent­stand arten­ar­mes Grün, wobei das Grün nur auf den Umstand der Niederschläge zurück­zu­füh­ren ist. Da die größ­te Artenvielfalt in Bodennähe und Oberbodenbereich vor­han­den ist, fra­ge ich mich, war­um auf dem Eisenbolz nach Mulcharbeiten der Boden bis zu 40 Zentimeter tief gefräst wur­de und Flora und vor allem Fauna zer­stört wurden.

Zurzeit fin­den im gesam­ten Gebiet Haselmausuntersuchungen statt. Warum wur­de das nicht vor den Maßnahmen durch­ge­führt? Eventuell hät­ten die Maßnahmen anders lau­fen müs­sen, um die Artenvielfalt nicht zu beein­träch­ti­gen. Warum fokus­siert man sich auf ein­zel­ne Arten?

Warum wur­de vor den Maßnahmen kei­ne Bestandsaufnahme des Gebietes durch­ge­führt? Das ist der ers­te Schritt wis­sen­schaft­li­chen Arbeitens, um zu erfah­ren, wel­che Flora und Fauna sich in dem Gebiet bereits befin­den. Es ist also nicht bekannt, wel­che Arten mit den Maßnahmen ver­nich­tet wur­den. Somit sind die nun ange­ge­be­nen Artenzahlen sub­stanz­los im Hinblick auf Veränderungen oder gar Verbesserungen. Bereits 1998 hat­te die Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz (GNOR) bei der Bitte um Unterschutzstellung die­ses Gebietes in einer Liste mit­ge­teilt, dass sich dort Arten wie Wendehals, Neuntöter, Pirol und so wei­ter befin­den. Wie jeder weiß, stel­len sich nach Landschaftsänderungen durch Menschenhand oder bei Naturkatastrophen,  Flora und Fauna erst nach meh­re­ren Jahren, also sehr lang­sam um. Auf jeden Fall wan­dern nicht inner­halb weni­ger Monate neue Arten in einen Lebensraum ein. Die Hintere Dickt ist seit fast 200 Jahren ein rei­nes Offenland, teils nur mit Ackerbau, teils ver­mehrt mit Obstanbau bewirt­schaf­tet. Für heu­ti­ge Verhältnisse war es nie eine inten­si­ve Landbewirtschaftung. Somit wan­der­ten seit der Zeit des Beginns des Offenlandes immer wie­der Arten von Flora und Fauna ein, die sich dort nach und nach eta­blier­ten. Also haben wir seit Jahrzehnten dort eine arten­rei­che Landschaft und nicht erst seit den Landes-pfle­ge­ri­schen Maßnahmen der SGD.

Ja, die Hintere Dick war nach Aufgabe der Landbewirtschaftung extrem ver­buscht. Auch da hiel­ten sich Offenland-Arten, zumal da noch leben­de Obstbäume das Landschaftsbild bestimm­ten. Heute sind über­wie­gend abge­stor­be­ne Obstbäume und gro­ße Lücken land­schafts­prä­gend. Auch sie bie­ten vie­len Arten einen Lebensraum, aber nur spe­zi­el­len. Nach wie vor bleibt die Kritik erhal­ten, dass seit Jahrzehnten kei­ne Obstbäume nach­ge­pflanzt wurden.

Der Ausdruck sei­tens der SGD, die Hintere Dick sei für die Biodiversität ein bedeut­sa­mes und her­aus­ra­gend Gebiet, kann so nicht akzep­tiert wer­den. Solche Flächen soll­ten die Norm der Landnutzung in unse­rer Umwelt sein, kei­ne her­aus­ra­gen­den Sonderfälle. Jede Art der Landbewirtschaftung soll­te selbst­ver­ständ­lich mit Augenmaß sei­ne Umwelt nut­zen und schüt­zen kön­nen. Viel bes­se­re Beispiele sind die Streuobstwiesen in Herschwiesen und in Filsen. Sie wur­den in Eigenregie her­ge­rich­tet und in Nutzung gebracht. Hier funk­tio­niert Naturschutz im Zusammenhang mit der Nutzung.

In der Hinteren Dick feh­len zur Artenvielfalt jede Menge aus­ge­wach­se­ne Obstbäume und die Duldung ver­schie­de­ner Strukturen in der Landschaft wie Hecken, Feldraine, funk­tio­nie­ren­de Nasszonen und Tümpel, öko­lo­gisch gepfleg­te Feldwege und eine natür­li­che Waldrandzone. Also klein­räu­mi­ge Strukturen.

Das Verbrennen von jah­re­lang gela­ger­ten Holz- und Strauchschnitthaufen, die als Nist‑, Brut- und Rückzugsmöglichkeiten vie­ler Lebewesen dien­ten, hat unwie­der­bring­lich vie­len Tieren das Leben gekos­tet. Eine exten­si­ve Weidewirtschaft soll­te die oben genann­ten Punkte ermög­li­chen, denn sie pro­fi­tiert davon.

Dass trotz die­ser Fehlmaßnahmen eine so beschrie­be­ne Artenvielfalt vor­herrscht, zeigt, dass die­ses Gebiet schon vie­le Jahrzehnte sehr arten­reich war, wahr­schein­lich noch arten­rei­cher als heut­zu­ta­ge und das unbe­wusst bei all­täg­li­cher Nutzung.

Mir per­sön­lich erschei­nen die Landes-pfle­ge­ri­schen Maßnahmen in der Hinteren Dick und auf dem Eisenbolz eher nach dem Motto „try and error“. Eine Umsetzung nach vor­aus­ge­hen­der Planung erschließt sich mir nicht.

Artenvielfalt oder Biodiversität bedeu­tet, dass erst ein­mal eine Vielzahl an unter­schied­li­chen Lebensräumen vor­han­den sein muss, die sich dann mit Leben füllen.

Dipl.-Ing. Ulrich Kühl, Boppard

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