Carl von Linné schrieb: „Ich sehe die Menschen, alle Tiere, alle Pflanzen und alle Erde für sich verbrauchen“.
Wir haben in Boppard eine Kulturlandschaft, die verpflichtet, dass die Landschaft erhalten bleibt, nicht radikal verändert und verschandelt wird. Die Natur und Landschaft sind aufgrund ihres eigenen Wertes unbedingt zu erhalten und dauerhaft zu schützen. Siehe BNatSchG und Landschaftsschutzgesetz.
Es gibt ohne Zweifel gute Gründe für eine Entbuschung, es gibt keinesfalls einen Grund, so radikal einen Kahlschlag umzusetzen wie im Dammigbachtal geschehen. Wir hatten und haben eine Artenvielfalt, dafür ist weder Kahlschlag noch Rodung nötig.
Das wurde inzwischen unzählige Male kommuniziert, scheint aber immer noch nicht bei den Entscheidungsträgern angekommen zu sein. Es wird an den bisherigen Plänen stur festgehalten. Unbegreiflich, dass Fakten dagegen sprechen und es trotzdem in gewohnter Weise weiter gehen soll.
Auf dem Eisenbolz ist noch ein Landschaftsbild mit vielen schmalen Feldern erhalten. Es gibt Bäume, die Schatten spenden, es gibt Streifen von Gras/Offenland, es gibt Streifen von Brombeerhecken, es gibt Streifen mit hohen Gräsern.
Alles das ist Vielfalt und gut für den Artenschutz in seiner Gesamtheit. Es bietet den Vögeln und Tieren Unterschlupf und Nistmöglichkeit, Insekten haben die Möglichkeit ihre Eier an den Grasstängeln abzulegen, die Puppen können entweder an den Grasstängeln oder auch gut geschützt im Erdreich überwintern. Selbst innerhalb des Insektenlebens verändern sich die Bedürfnisse, was die Lebens- und Nahrungsraumbedürfnisse betrifft.
Was geschieht: Der Mensch nimmt Flächen in Besitz, zerstückelt und zerstört Habitate. Eine Rodung ergibt Offenland, vernichtet aber Lebensraum für sehr viele andere Arten, die ebenso ein Lebensrecht haben. Es braucht Offenland ebenso wie Gebüsch, Halboffenland und Bäume/Wald. Erst diese verschiedenen Bereiche in der Landschaft schaffen Artenvielfalt.
Bei diesem ehrgeizig vorangetriebenen Projekt liegt der Fokus ausschließlich auf einigen wenigen Arten, beispielsweise die immer wieder genannten: Neuntöter, Wendehals, Raubwürger, Orchideen. Wo bleibt der Lebensraum für beispielsweise das Rebhuhn? In der Roten Liste wird es als „stark gefährdet“ eingestuft. In weiten Bereichen ist es verschwunden. Zum Überleben braucht es Hecken und Büsche zur Deckung. In flurbereinigten, intensiv mit Großmaschinen bewirtschafteten Flächen hat es keine Überlebenschance. Nur ein Beispiel von vielen.
Die „hochseltene Blauflügelige Ödlandschrecke“ (so in der Presse kundgetan) hüpft zu Hunderten im Bopparder Hamm herum, auch zu sehen „Im Dürrenberg“. Ebenso gibt es dort die Rotflügelige Ödlandschrecke.
Der Segelfalter ist in Boppard unterhalb der Sesselbahn, im Bopparder Hamm und auf dem Eisenbolz zu beobachten. Und das nicht erst seit diesem Jahr. Im Bopparder Hamm ergab eine Zählung im August 2021 mehr als 50 Eier auf einem Wegstück von rund 300 Metern. Ein Lepidepterologe hat mich begleitet.
Zur „Gemeine Plumpschrecke“ ist in einer Veröffentlichung des Ministeriums zu lesen: (…) vorwiegend auf hochgewachsenen, leicht feuchten Wiesen, verbuschten Trockenrasen und Waldrändern. (…) bevorzugt strukturreiche, hochwüchsige, nicht zu trockene Bestände mit hohen Gräsern und Kräutern. Die Individuen ernähren sich von weichen und saftigen Pflanzen, (…)
Quelle: Indikatorenbericht zur Biodiversität des Landes, Ministerium für Umwelt.
Orchideen sind geschützt, auf Flächen, auf denen sie vorkommen, darf nichts zerstört werden. Nun ist geplant, Anfang November die Arbeiten im Bereich der Hintere Dickt fortzusetzen, nochmal zu „mulchen“ (ein geschöntes Wort für fräsen) und noch vorhandene Baumstubben zu entfernen. Fräsen des Bodens heißt, den Boden mitsamt allen Bestandteilen, auch Flora und Fauna zu zerstören. Mulchen ist eine Bodenverbesserungsmaßnahme, greift nicht in den Boden ein, zerstört ihn also nicht, sondern bedeckt ihn mit organischer Substanz.
Also ein erneuter massiver Eingriff in die Bodenstruktur, erneutes Vernichten von Lebewesen. Hier sind einige Fragen offen. Im Dammigbachtal habe ich im Hang unterhalb der Tennisplätze Ende April 2022 Orchideen gesehen. Fotos belegen das.
Zu einer großflächigen Rodung des Eisenbolzes ist also kein Grund vorhanden. Es sei denn, man bereitet die Flächen für landwirtschaftliche Nutzung, also tragbaren Acker oder Baugebiet vor und nimmt bewusst (natürlich hinter dem Siegel der Verschwiegenheit) eine Rodung in Kauf und schafft große Flächen für entsprechende Maschinennutzung … Oder auch die BUGA …
Nochmal: Entbuschung ja, allerdings in einer deutlich (!) sensibler durchgeführten Form als bisher geschehen. Das gilt nicht nur für die in diesem Winter 2022/2023 geplanten Flächen auf dem Eisenbolz, sondern auch für die weiteren Abschnitte in den kommenden Jahren.
Die geplanten Flächen sollten unbedingt neu überdacht und den jetzigen Klimaveränderungen angepasst werden.
Ebenso sollte zwingend eine aktuelle Bestandsaufnahme der vorhandenen Flora und Fauna und eine Planung zu den zukünftig zu bearbeiteten Flächen erfolgen.
Das Klima hat sich verändert und die Bestandsaufnahmen von vor vielen Jahren sind nicht mehr relevant. Hier muss neu geschaut werden. Die Rechtsverordnung des Naturschutzgebietes Hintere Dickt-Eisenbolz ist vom 26. März 1998. Nachzulesen auf der Seite der SGD Nord unter Naturschutzgebiete: NSG-7100–276.
Die Klimaerwärmung schreitet voran, recht schnell sogar. Braucht es dann noch ein zusätzliches Aufheizen des Bodens durch Abholzen der Bäume, roden und fräsen? Das Mittelrheintal und der Eisenbolz waren und sind klimatisch begünstigt. Die Dürrejahre folgen rasch aufeinander: 2003, 2009, 2015, 2018, 2019, 2020, 2022.
Trotzdem dreht sich der Fokus nur noch um Entbuschung und Offenland für die immer wieder „wertvoll“ genannten Arten schaffen.
Ja, noch hat Boppard viel Wald, aber das wird sich in den kommenden Jahren gravierend verändern. Man braucht nur mit offenen Augen zu schauen, was mit dem Waldbestand los ist, nicht nur in Boppard. Viele Flächen sind abgestorben, eine Aufforstung wie bisher üblich wird hier nicht möglich sein.
Prof. Dr. Marc Hanewinkel (Forstökonom und Forstplanung Uni Freiburg) hat Forschungsprojekte zum Thema Anpassungsstrategien an den Klimawandel in Europa koordiniert. Jahrelang wollte niemand seine Warnungen zum Waldsterben als Folge des Klimawandels hören.
Die Forstämter und Forstleute wissen Bescheid, bei Nachfrage und lesen von Waldstandsberichten erklärt sich vieles, was der Klimawandel verursacht. Und trotzdem ist der Plan, das Projekt Hintere Dickt-Eisenbolz auf Biegen und Brechen durchzusetzen und in der alten Version, die vor sehr vielen Jahren überlegt wurde, umzusetzen.
Vielleicht gibt es irgendwann die Umkehr, das Offenland muss weg, Bäume müssen her? Wieder gefördert mit vielen Steuergeldern?
Freistellung der Flächen wie in der Dörrscheider Heide? Wir wollen in Boppard keine Dörrscheider Heide! Diese hat eine andere Geschichte, eine andere Ausgangsform und nichts mit unserer Gegend zu tun. Auch wenn Dr. Axel Schmidt (SGD Nord) es noch so oft in seinem Vortrag (Stadtratssitzung, 19.09.22) nennt und als Vorzeigeobjekt anpreist. Der Aspekt mit der Wildschweinproblematik ist in keinster Weise mit dem Eisenbolz vergleichbar! Wird den Wildschweinen die Deckung genommen, weichen sie auf die Gärten aus. Dort fühlen sie sich sicher, denn im Wohngebiet darf nicht geschossen werden.
Ein anderer Aspekt dazu: die „Entbuschung Hintere Dickt/Eisenbolz wird mit Geldern der ‚Aktion Grün‘ gefördert.“ Fördergelder, um den Wildschweinen die Deckung zu nehmen? Fördergelder sind meines Wissens zweckgebunden.
Ich werde nicht klaglos und untätig hinnehmen, wie großflächig alles zerstört wird! Und sehr viele andere Bürger auch nicht. In kurzer Zeit haben mehr als 300 Menschen als Zeichen ihres Unmuts der Maßnahme mit ihrer Unterschrift ihrer Sorge Ausdruck verliehen.
Wie auch immer von Behördenseite entschieden wird: Ich sehe meine Verpflichtung auch darin, mich einzusetzen und meinen Enkelkindern eine grüne, vielfältige Natur zeigen zu dürfen. Die Natur war und ist heilsam. Seien wir sensibel, hüten und wertschätzen, was uns von der Natur geschenkt wird.
Maria-Anna Roth, Boppard