Region. Landwirtschaftliche Betriebe geben auf, viele sind in ihrer Existenz bedroht. Kartoffeln, Obst und Gemüse werden zu knappen „Luxusgütern“, die Preise für Wein und Sekt steigen Wein enorm an. Diese fiktiven Szenarien können Realität werden, wenn die Europäische Union an ihrem Vorhaben, Pestizide bis 2028 um 50 Prozent – diskutiert werden sogar 80 Prozent – festhält. Bauern und Winzer reagieren entsetzt, selbst Ökowinzer sehen ihre Arbeit durch die Politik des EU-Parlamentes bedroht. „Wenn bei den Theoretikern in der EU keine Vernunft einkehrt, sehe ich unsere Betriebe in ihrer Existenz bedroht“, sagt Walter Perll, Ortsvorsteher des Bauern- und Winzerverbands Boppard. „Die Stimmung bei uns ist angespannt und gereizt.“
Die Europäische Kommission hatte ihren Vorschlag für eine überarbeitete Verordnung über die nachhaltige Nutzung von Pestiziden (SUR) im Sommer 2022 vorgelegt. Dieser sieht unter anderem vor, sowohl den Einsatz als auch das Risiko gefährlicher Pestizide bis 2030 zu halbieren und chemische Pflanzenschutzmittel in sogenannten „sensiblen Gebieten“ vollständig zu verbieten. Die zuständige Berichterstatterin der Grünen im EU-Parlament, Sarah Wiener, will, dass das 50-prozentige Reduktionsziel bis zum Jahr 2030 sogar auf 80 Prozent erhöht wird. Die Österreicherin Wiener, die als Fernsehköchin und Betreiberin von Restaurants in Berlin bekannt geworden ist, ist für viele Bauern zu einer Art Reizfigur geworden. Der Vorwurf: Es fehle an Kenntnissen über die Arbeit in Landwirtschaft und Weinbau, außerdem mangele es an wissenschaftlichem Know-how. Nicht nur die geplante drastische Reduzierung beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erhöht den wirtschaftlichen Druck auf die Betriebe. Auch die erforderliche Dokumentation würde ein Mehr an Arbeit mit sich bringen.
Komplettverbot in FFH-Gebieten
Das geplante Komplettverbot von Pestiziden in sogenannten FFH-Gebieten (Anmerkung der Redaktion: Lebensräume von Tieren und Pflanzen, die nach EU-Recht geschützt sind), wäre eine folgenschwere Zäsur für die gesamte Landwirtschaft. „Die Obstbauern am Bodensee könnten aufhören, viele Landwirte könnten ihre Felder nicht mehr bestellen. Und auch heimische Winzer wie beispielsweise unser Oberweseler Kollege Stefan Fendel würden hart getroffen“, so Walter Perll. Fendels traditionsreiche Toplage im Kauber Roßstein liegt in einem Wasserschutzgebiet, das Spitzverbot würde das Ende des Weinbaus auf der Fläche von mehr als einem Hektar Weinberg bedeuten. „Die Vorstellung, dass man gänzlich auf den Einsatz von Spritzmittel verzichten kann, ist schlichtweg falsch“, so Walter Perll. „Auch anerkannte biologische Mittel, auf die Ökowinzer setzen, stehen auf der Verbotsliste.“
Perll macht deutlich, dass alle Landwirte und Winzer längst so wenig wie nötig Pflanzenschutzmittel verwenden. „Die sind teuer und das Ausbringen ist zeitintensiv und macht viel Arbeitskraft notwendig. Außerdem fühlen wir uns natürlich dem Umweltschutz verpflichtet“, stellt Walter Perll fest. Existenzbedrohende Verordnungen von EU-Bürokraten ohne jeden „Stallgeruch“ lehnen die Bauern und Winzer kategorisch ab. „Wir setzen auf umweltverträgliche Mittel“, sagt Perll und nennt beispielhaft den Kampf gegen den Traubenwickler. „Mit Sexualduftstoffen lenken wir Männchen von den Weibchen ab und sorgen für eine geringere Vermehrung.“
Winzer und Landwirte betonen, dass sie verantwortungsvoll und so wenig wie nötig Pestizide verwenden. Das Verhältnis zur EU-Politik scheint aber ziemlich vergiftet zu sein.