
Eine Sorge im Zusammenhang mit den neuen Virusvarianten, insbesondere denen, die Mutationen im Rezeptorbindungsbereich tragen, ist die theoretische Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Impfstoffwirksamkeit oder die Möglichkeit einer erneuten Infektion nach bereits überstandener Erstinfektion. Anfang Januar 2021 erschien ein Preprint einer Arbeitsgruppe der Universität Galveston, die in der Zellkultur die neutralisierende Wirkung der Seren von 20 mit dem Pfizer/BioNTech-mRNA-Impfstoff geimpften Personen gegenüber einer N501Y-Mutante von SARSCoV‑2 untersuchten. Im Vergleich mit dem Wildtyp, der die Mutation nicht trägt, fanden sie dabei keine Reduktion der neutralisierenden Kapazität der Seren. Allerdings wurde in dieser noch unveröffentlichten Studie nur eine einzige Mutation untersucht, während die neuen Virusmutanten mehrere Mutationen auf dem Spike-Protein tragen.

Besorgniserregend ist allerdings eine neue experimentelle Studie aus Johannesburg, die am 19.01.2021 als Vorabveröffentlichung (noch nicht begutachtet) auf der Seite BioRxiv gepostet wurde (SARS-CoV‑2 501Y.V2 escapes neutralization by South African COVID-19 donor plasma (biorxiv.org)). Die Forschergruppe untersuchte, ob neutralisierende monoklonale Antikörper und Seren von Patienten, die bereits eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden hatten, die südafrikanische Variante 501Y.V2 (B.1.351) erfassen. Die ausgewählten monoklonalen Antikörper richten sich gegen diejenigen Molekülabschnitte (Epitope) auf dem Spike-Protein, gegen die am häufigsten neutralisierende Antikörper gebildet werden, nämlich die Rezeptorbindungsdomäne (RBD) und das N‑terminale Ende (NTD) des Proteins. Die Forscher konnten zeigen, dass die in der Variante 501Y.V2 (B.1.351) vorhandenen Mutationen die Oberflächenstruktur des Spike-Proteins, die von der Immunantwort erkannt wird, so weitgehend verändern, dass die Virusvariante in der Lage ist, sowohl den untersuchten monoklonalen Antikörpern als auch den neutralisierenden Antikörpern in den Seren der Rekonvaleszenten vollständig zu entgehen.

Eine weitere, am 27.01.2021 auf dem Preprint-Portal bioRxiv gepostete Studie untersuchte ebenfalls in vitro die Neutralisationskapazität von 20 mit dem Pfizer/BioNTech-mRNA-Impfstoff BNT162b2 geimpften Probanden gegen drei gentechnisch hergestellte SARSCoV-2-Stämme mit Schlüsselmutationen, die für die britische Variante (69/70-Deletion+N501Y+D614G) bzw. die südafrikanische Variante (E484K+N501Y+D614G) bzw. für beide (N501Y) typisch sind. Die Seren konnten alle drei Varianten neutralisieren (Neutralization of SARS-CoV‑2 spike 69/70 deletion, E484K, and N501Y variants by BNT162b2 vaccine-elicited sera | bioRxiv).
Laut den am 07.02.2021 durch AstraZeneca vorab verlautbarten Ergebnissen einer klinischen Phase-3-Studie der Universität Witwatersrand in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford an 2.000 überwiegend jungen Studienteilnehmern ist die Wirksamkeit der AZD1222-Vakzine von AstraZeneca gegenüber der südafrikanischen Virusvariante B.1.351 signifikant vermindert.
Fazit: Mehrere der zitierten Studien deuten sehr stark darauf hin, dass bestimmte Mutationen im Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus den Immunschutz, der aus einer Erstinfektion mit dem bisher dominanten Virustyp oder nach Impfung mit einem der bisher verwendeten Impfstoffe auf Spike-Protein-Basis resultiert, zumindest teilweise unterlaufen können.
Die Fähigkeit der Virusvarianten, der Immunantwort zu entkommen, beruht nach bisherigen Erkenntnissen auf einigen wenigen Schlüsselmutationen im Spike-Protein, die unabhängig voneinander in verschiedenen Varianten und in entfernten geographischen Lokalisationen entstanden sind und selektiert wurden, da das Virus damit erfolgreich war. Die sukzessive Durchimpfung der Bevölkerung wird voraussichtlich die Entstehung und Verbreitung von Immun-Escape-Varianten noch beschleunigen. Es kommt daher bereits jetzt darauf an, die Impfstoffe an diese Entwicklung anzupassen und die wichtigen Schlüsselmutationen zu integrieren. Dies haben die Hersteller bereits erkannt und ins Visier genommen. AstraZeneca arbeitet bereits an einem angepassten Impfstoff, der im Herbst 2021 zur Verfügung stehen könnte. Johnson & Johnson geht sogar nach eigener Verlautbarung davon aus, dass die Impfstoffe künftig jährlich angepasst werden müssen.
Eine entscheidende Frage wird allerdings sein, wie die Regulierungsbehörden mit dem Thema umgehen, d.h. inwieweit Änderungen an den Impfstoffen im Rahmen der erteilten Zulassungen toleriert werden, bzw. welche Daten für die angepassten Impfstoffe vorgelegt werden müssen, ob beispielsweise neue Phase-3-Studien erforderlich sind.
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