von Jürgen Zanger
Mit der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Sondersitzung des Bundestages anlässlich des russischen Angriffskrieges in der Ukraine endete eine Entwicklung, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ihren Anfang genommen hatte. Damals formierte sich breiter Widerstand gegen den geplanten, von SPD-Kanzler Helmut Schmidt geforderten, Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen auf deutschem Boden. Die Diskussionen führten in der Kanzlerpartei zu heftigen Zerreißproben und im Ergebnis zur Gründung von Friedensbewegung und der Grünen, die 1983 als pazifistische Umweltpartei in den Bundestag einzogen. Seit der Großdemonstration im Bonner Hofgarten im Oktober 1981 mit 300.000 Menschen taucht Picassos Friedenstaube auf Transparenten und Fahnen immer dann auf, wenn es Aktionen gegen Aufrüstung und Kriege gibt.
Die außerparlamentarische Bewegung war schnell en vogue, im Deutschen Bundestag hatte sie im wiedervereinigten Deutschland vor allem bei Grünen, Linken und auch der SPD parlamentarischen Rückhalt. Doch – und das ist bei allem Idealismus vieler in der heterogenen Friedensbewegung unübersehbar – als Kriegsverursacher und gefährliche Aufrüster wurden zunehmend einseitig die USA und die Nato gesehen. Auf dem „linken Auge“ ignorierte man gerne das ungebremste und gefährliche Aufbauen von Militärmaschinerien in Russland und China. Und bei kriegerischen Handlungen der Russen in Syrien schauten Friedensverfechter gerne weg.
In Deutschland war es lange Zeit beinahe ein Grund zur Ächtung, wenn man sich nach dem Ende der Sowjetunion für eine stärkere Bundeswehr und einen höheren Verteidigungsetat aussprach. Ein bisweilen illustres Konglomerat aus klassischen Friedensbewegungs-Anhängern mit ehrlich Besorgten, linken Systemkritikern und völlig naiven Weltverbesseren hatte sich fest auf die USA und das westliche Bündnis eingeschossen und träumte lange unter dem Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ von einer vermeintlich besseren Welt. Was für ein Irrtum.
Spätestens, als die Friedenstaube auch bei befremdlichen Veranstaltungen von Coronaleugnern auftauchte, war klar, dass viele tatsächlich das Ideal und die Realität aus dem Blick verloren haben.
Auch im Bundestag bröckelte angesichts zunehmender Bedrohungslagen durch Putin in Russland und Xi Jinping in China die pazifistische Front. Mit Ausnahme der Linken, die noch vor wenigen Wochen im Plenum ihre Nähe zu Putin deutlich gemacht und zugleich die USA kritisiert haben, setzte sich in der Regierungsverantwortung bei SPD, Grünen und FDP scheibchenweise die Einsicht durch, dass für die Bundeswehr dringend umfangreiche Anschaffungen notwendig sind. Und nach dem begonnenen Krieg Putins wurde auch „GRÜNES“ Licht für Waffenlieferungen an die Ukraine gegeben. Offenkundig hat sich eine eigentlich banale Einsicht durchgesetzt: So wie man an Haus- und Wohnungstüren Sicherheitsschlösser einbaut und die eigenen vier Wände mit Bewegungsmeldern und Alarmanlagen sichert, so muss man auch das eigene Land vor ungewollten Eindringlingen schützen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat jedenfalls unter dem Applaus einer überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten auf die bedrohliche Realität reagiert und in der Sondersitzung als Reaktion auf Putin Krieg in der Ukraine eine 180-Grad-Wende der deutschen Verteidigungs- und Rüstungspolitik ausgesprochen. Mit einem Sonderansatz von unfassbaren 100 Milliarden Euro im Haushalt 2020 und der eindeutigen Aussage, dass Deutschland ab sofort wie von den USA und Natopartnern gefordert jährlich einen Betrag von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für seine Verteidigung ausgeben wird, überraschte der Kanzler die weltweite Öffentlichkeit und nicht wenige Bundestagsabgeordnete.
Ganz offensichtlich waren selbst einige seiner Kolleginnen und Kollegen der Ampelregierung trotz aller Vorgespräche vom Ausmaß der finanziellen Entscheidungen des Kanzlers etwas irritiert. Beobachter registrierten bei einigen der Grünen für einige Momente sichtbare Sprachlosigkeit. Das ist durchaus nachvollziehbar, schließlich verabschiedete man sich in diesem Moment nach einem halben Jahrhundert von den einst hehren Zielen. Doch jetzt geht es darum, ein aktuelles Ziel zu erreichen: Der Krieg in der Ukraine muss beendet werden und die Souveränität des demokratischen Staates gesichert werden. Und für die Zukunft gilt in der alles anderen als schönen Realität: Frieden sichern mit Waffen.